Webseite der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit

Genome Editing - Auswirkungen des EuGH-Urteils auf die Pflanzenzüchtung

Warum verursacht das EuGH-Urteil so viel Wirbel?

Mutationen ermöglichen der Pflanzenzüchtung seit Jahrtausenden die Erzeugung von Pflanzen bzw. Sorten mit neuen Eigenschaften. Dabei wurden seit jeher zufällig auftretende Mutationen genutzt. Seit etwa der Mitte des letzten Jahrhunderts werden erfolgreich auch Mutanten in der Züchtung eingesetzt, die nach mutationsauslösender Behandlung mit Strahlen oder Chemikalien (konventionelle Mutagenese) auftraten. Vor circa 20 Jahren begann die Entwicklung neuer Verfahren, mit denen sich solche Mutationen, die nur in einer minimalen Veränderung des Genoms bestehen, gezielt in gewünschten Genen erzeugen lassen ("Genome Editing"). Die so erhaltenen Mutanten sind molekular nicht von zufälligen oder durch konventionelle Mutagenese entstandenen Mutanten zu unterscheiden. Diese neuen Verfahren stellen einen außerordentlichen Fortschritt für die wissenschaftliche Forschung dar und sind ein vielversprechendes Werkzeug für die Anwendung in der Pflanzenzüchtung.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit dem Urteil vom 25.7.2018 festgestellt, dass sowohl die mit konventionellen als auch die mit den neuen Mutageneseverfahren hergestellten Mutanten gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sind (siehe auch Pressemitteilung des EuGH). Sie fallen somit unter die Regularien der EU-Richtlinie 2001/18/EG über die absichtliche Freisetzung von GVO in die Umwelt (GVO-Richtlinie). Allerdings sind die mittels der konventionellen Mutagenese erzeugten GVO vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen. Das Urteil stellt eine juristische Auslegung der GVO-Richtlinie dar und gilt unmittelbar in der gesamten EU.

Aus Sicht der ZKBS bezieht das Urteil den naturwissenschaftlichen Kenntnisstand nicht ein. Es berücksichtigt nicht die vorangegangenen Bewertungen anerkannter Institutionen, u. a. der European Academies Science Advisory Council (EASAC), der High Level Group of Scientific Advisors (part of Scientific Advice Mechanism - SAM) oder der Deutschen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech.

Wissenschaftlicher Hintergrund

Warum werden Pflanzen züchterisch verändert?

Seit jeher kultiviert und selektiert der Mensch bestimmte Pflanzen, um Nutzpflanzen mit vorteilhaften Eigenschaften zu erhalten. Dazu gehören beispielsweise die Steigerung des Ertrags oder der Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge oder Trockenheit. Seit der Entdeckung der Vererbungsregeln durch Mendel wurden große Fortschritte für die moderne Landwirtschaft erzielt, da seitdem durch die Kombination geeigneter Kreuzungspartner gezielt Sorten mit erwünschten Eigenschaften entwickelt werden können. Jede neue Sorte wird sowohl vom Züchter als auch von der Zulassungsbehörde in einem aufwendigen und mehrjährigen Verfahren geprüft, bevor sie auf den Markt kommt.

Was heißt eigentlich konventionelle Mutagenese?

Seit etwa 1930 werden erbgutverändernde radioaktive Strahlung und Chemikalien in der sogenannten Mutationszüchtung eingesetzt (vgl. Abb. Zeitstrahl). Diese Mutageneseverfahren rufen ungerichtet tausende unbekannte Mutationen im Erbgut einer Pflanze hervor. Durch aufwendige Selektions- und Rückkreuzungsprozesse müssen dann die Pflanzen mit den erwünschten Mutationen/Eigenschaften gefunden und von unerwünschten Mutationen befreit werden. Laut Datenbank der Welternährungsorganisation in Zusammenwirken mit der internationalen Atomenergiebehörde wurden mehr als 3000 auf dem Markt befindliche Sorten allein mithilfe der Strahlungsmutagenese gezüchtet. Da nicht alle Sorten in dieser Datenbank registriert sind, liegt die tatsächliche Zahl der Sorten deutlich darüber.

Zeitstrahl der Entwicklungen von Mutagenesetechniken Zeitstrahl der Entwicklungen von Mutagenesetechniken Quelle: © BVL

Was versteht man unter Genome Editing?

Etwa seit dem Jahr 2000 stehen neue Mutageneseverfahren zur Verfügung, die unter dem Begriff Genome Editing zusammengefasst werden (vgl. Abb. Zeitstrahl). Diese neuen Verfahren erlauben eine gezielte Veränderung im Genom von Kulturpflanzen und einen schnelleren und effizienteren Züchtungsfortschritt. Der Züchtungsfortschritt wird beschleunigt, weil die Veränderung bestimmter Eigenschaften durch die gezielte Veränderung der entsprechenden Gene erreicht wird. Langjährige Rückkreuzungen werden überflüssig.

Eine Übersicht von bereits heute mehr als 50 verschiedenen Nutz- und Zierpflanzen mit über 100 neuen Eigenschaften, die mit den Verfahren des Genome Editings erfolgreich verändert wurden, finden Sie hier.

Die neuen Verfahren lassen sich in zwei (Haupt-)Kategorien unterteilen:

1. Die Oligonukleotid-gesteuerte Mutagenese (OgM; engl.: ODM) und

2. Verfahren, die sequenzspezifische Endonukleasen, sogenannte Genscheren, nutzen (dazu zählen: Zinkfinger-Nukleasen (ZFN), Transcription Activator-like Effector Nucleases (TALENs), Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats (CRISPR)/CRISPR-associated (Cas)).

Die Verfahren beider Kategorien können dazu verwendet werden, dass an einer definierten Stelle im Genom des Zielorganismus eine minimale Änderung (z.B. eine Punktmutation) erzeugt wird.

Mit dem zweiten Verfahren lassen sich neben minimalen Veränderungen auch größere Deletionen und sogar Insertionen (z.B. fremder Gene) herbeiführen. Diese Art von Veränderungen, die i.d.R. ohnehin unter das Gentechnikrecht fallen, werden hier nicht betrachtet. Dieser Fokusartikel beschäftigt sich nur mit minimalen Genomveränderungen, analog zu der Abhandlung im EuGH-Urteil. Solche minimalen Genomveränderungen können auch natürlich entstehen oder durch konventionelle Mutagenese herbeigeführt werden. Auf welchem Weg eine Mutation entstanden ist, lässt sich nachträglich nicht mehr feststellen.

Das EuGH-Urteil

Nach Ansicht der ZKBS bezieht das Urteil des EuGH den naturwissenschaftlichen Kenntnisstand nicht mit ein. Die folgenden Punkte und Begründungen des Urteils stimmen nicht mit der Sichtweise der ZKBS überein.

1. Der EuGH stellt fest, „… dass durch Mutagenese gewonnene Organismen GVO im Sinne der GVO-Richtlinie sind, da durch die Verfahren und Methoden der Mutagenese eine auf natürliche Weise nicht mögliche Veränderung am genetischen Material eines Organismus vorgenommen wird.“ (Pressemitteilung des EuGH, Hervorhebungen durch die ZKBS; vgl. Urteil Randnummer 29)

Diese Feststellung ist naturwissenschaftlich nicht begründbar. Mutationen, ausgelöst durch die Anwendung klassischer Mutagene wie Strahlung oder Chemikalien, erzeugen Erbgutveränderungen, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch natürliche Strahlung und andere Umwelteinflüsse auch auftreten. Es liegen dieselben Mechanismen zugrunde. Konkret können natürliche Mutationen durch folgende Prozesse entstehen:

(a) spontane, zufällige DNA-Schäden (z.B. Desaminierung von Basen, Basenverlust)

(b) Replikationsfehler und unterbliebene Reparaturvorgänge (z.B. der mismatch-Reparatur)

(c) Einflüsse der natürlichen Umwelt auf die Integrität der Erbsubstanz, z.B. Strahlung (UV-Strahlung der Sonne, Strahlung aus natürlichem radioaktiven Zerfall oder dem Weltall), natürliche anorganische chemische Verbindungen und Ionen (z.B. salpetrige Säure, Mn++) und natürliche organische Verbindungen (z.B. Aflatoxine).

Die vom Menschen herbeigeführte konventionelle Mutagenese basiert also auf den gleichen Mechanismen wie die Entstehung von natürlichen, umweltverursachten Mutationen.

In welchem Umfang Mutationen natürlicherweise auftreten, verdeutlicht die Berechnung von Prof. Dr. D. Weigel (persönliche Mitteilung), Direktor des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie, der das Auftreten natürlicher Mutationen in Pflanzen (bei der Acker-Schmalwand Arabidopsis thaliana; Ossowski et al., 2010) ermittelt hat. Danach würden auf einem ein-Hektar-großen Weizenfeld pro Generation rund 40 Milliarden natürliche Mutationen auftreten. Damit befinden sich bereits auf einem kleinen Feld statistisch gesehen in jedem Weizengen verschiedene Mutationen.

2. Der EuGH stellt weiter folgendes fest: „Aus der GVO-Richtlinie ergibt sich jedoch auch, dass sie nicht für die mit bestimmten Mutagenese-Verfahren, nämlich solchen, die herkömmlich bei einer Reihe von Anwendungen verwendet wurden und seit langem als sicher gelten, gewonnenen Organismen gilt.“ (Pressemitteilung des EuGH, Hervorhebungen durch die ZKBS; vgl. Urteil Randnummern 54 und 68)

Die mit konventionellen Verfahren der Mutagenese gewonnenen Pflanzen sind also vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen, nicht aber die mit neuen Verfahren erzeugten Pflanzen.

Oft wird argumentiert, dass durch das Verfahren des Genome Editings auch jenseits der gewünschten Stelle im Erbgut zusätzliche unerwünschte Mutationen auftreten könnten. Diese lassen sich aber identifizieren und die entsprechende Mutante kann z.B. verworfen werden.

Zahlreiche unerwünschte Mutationen treten jedoch bei der konventionellen Mutagenese auf. Und da diese nicht zielgerichtet ist, ist die Zahl unbekannter Hintergrundmutationen dort sogar sehr viel größer als beim Genome Editing. Durch jahrelange Rückkreuzungen werden die unerwünschten Mutationen in der konventionellen Pflanzenzüchtung beseitigt. Viele Hintergrundmutationen bleiben aber unentdeckt in der Pflanze bestehen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum die konventionelle Mutagenese als sicher angesehen wird, die neuen Verfahren aber nicht. Darüber hinaus ist die ZKBS der Auffassung, dass die konventionellen Mutageneseverfahren als sicher einzustufen sind, weil die damit erzeugten Pflanzensorten sich als sicher und stabil in der Nutzung erwiesen haben.

Mit den neuen Verfahren können letztlich die gleichen Mutationen erzeugt werden wie mit der konventionellen Mutagenese. Die Entscheidung des EuGH-Urteils kann zukünftig dazu führen, dass zwei in dieser Hinsicht genetisch identische Pflanzen unterschiedlich reguliert werden müssen. Dieser Sachverhalt zeigt, dass eine Bewertung des Risikos anhand des genutzten Verfahrens, also eine prozessbasierte Risikobewertung, nicht angemessen ist.

3. Unter Berufung auf die Feststellungen des französischen Conseil d’Etat führt der EuGH weiter aus, „… dass sich die mit dem Einsatz dieser neuen Mutagenese-Verfahren verbundenen Risiken als vergleichbar mit den bei der Erzeugung und Verbreitung von GVO im Wege der Transgenese auftretenden Risiken erweisen könnten. Denn mit der unmittelbaren Veränderung des genetischen Materials eines Organismus durch Mutagenese lassen sich die gleichen Wirkungen erzielen wie mit der Einführung eines fremden Gens in diesen Organismus ... .“ (Pressemitteilung des EuGH, Hervorhebungen durch die ZKBS; vgl. Urteil Randnummer 48)

Die durch Mutationen ausgeführten Änderungen des genetischen Materials einer Pflanze sollen demnach genauso risikoreich sein wie das Einfügen fremder Gene. Diese Aussage ist fachlich unzutreffend.

Bei der Transgenese werden artübergreifend neue Gene und damit Eigenschaften in Kulturpflanzen übertragen. Da diese neuen Eigenschaften zu neuen bzw. veränderten Risiken in den Kulturpflanzen führen können, werden diese nach dem Gentechnikrecht bewertet. Mit den neuen Verfahren der gerichteten Mutagenese können dagegen Veränderungen erzielt werden, die auch natürlicherweise oder durch konventionelle Mutagenese auftreten können (Punktmutationen, Deletionen). Es ist wissenschaftlich deshalb nicht begründbar, dass solche durch neue Mutageneseverfahren erzeugte Veränderungen einer gesonderten Risikobewertung unterzogen werden sollen.

4. Der EuGH stellt zudem fest: „ ... die neuen Verfahren ermöglichen die Erzeugung genetisch veränderter Sorten in einem ungleich größeren Tempo und Ausmaß als bei der Anwendung herkömmlicher Methoden der Mutagenese. In Anbetracht dieser […] Gefahren … “ (Pressemitteilung des EuGH, Hervorhebungen durch die ZKBS; vgl. Urteil Randnummer 48)

Diese Aussage wird vom EuGH nicht begründet und ist naturwissenschaftlich unhaltbar. Es ist fachlich und faktisch nicht begründbar, dass eine Gefahr dadurch entsteht, dass durch die neuen Mutageneseverfahren schneller und in größerem Ausmaß neue Sorten erzeugbar sind.
Unabhängig von dem Verfahren wird eine jede neue Sorte sowohl vom Züchter als auch von der Zulassungsbehörde in einem aufwendigen und mehrjährigen Verfahren geprüft, bevor sie auf den Markt kommt.

Problem des Nachweises

Die hier und im EuGH-Urteil behandelten Genome Editing-Techniken sind drauf ausgerichtet, nur eine minimale Änderung im Genom des Zielorganismus zu erzeugen. Die so erzeugte Änderung kann analytisch meist nachgewiesen werden. Der zugrundeliegende Vorgang, der zu der Genomänderung geführt hat, jedoch nicht (s.o.). Damit ist eine solche Pflanze nicht unterscheidbar von einer, die durch konventionelle Mutagenese oder natürlicherweise entstanden ist.

Viele große Agrarländer wie die USA, Brasilien, Kanada und Argentinien bewerten das Risiko der erzeugten Pflanzen, d.h. des Produktes (sogenannte produktbasierte Risikobewertung). Mittels Genome Editing generierte Pflanzen und deren Erzeugnisse werden in diesen Ländern nicht als gentechnisch verändert definiert und können ohne die für GVO geltenden Regulierungsauflagen auf den Markt kommen. Hinsichtlich des weltweiten Handels ergibt sich dadurch für die europäischen Behörden als Folge des EuGH-Urteils das Problem, wie durch Genome Editing erzeugte Veränderungen in importierten Lebens- und Futtermitteln nachgewiesen werden sollen, um die GVO-Richtlinie anwenden zu können.

Fazit der ZKBS

Die ZKBS sieht keine naturwissenschaftliche Grundlage für die Auslegung der GVO-Richtlinie durch den EuGH im Hinblick auf das Genome Editing bei Pflanzen.

Das Urteil hat zur Folge, dass in der EU für die Entwicklung und Erprobung (Freisetzung) neuer, durch Genome Editing veränderter Pflanzen zukünftig die umfangreichen Auflagen der GVO-Richtlinie erfüllt werden müssen. Außerdem müssen die so entwickelten Pflanzen, die dann in der EU angebaut oder als Futter- bzw. Lebensmittel verwendet werden sollen, den aufwendigen GVO-Zulassungsprozess durchlaufen.

Weiterhin führt die Tatsache, dass außerhalb der EU durch Genome Editing veränderte Pflanzen in vielen großen Agrarländern nicht als GVO angesehen und somit dort nicht gekennzeichnet werden müssen, zu großen Problemen hinsichtlich des internationalen Handels und bei der Kontrolle durch die zuständigen europäischen Vollzugsbehörden.

Die ZKBS ist der Auffassung, dass das europäische Gentechnikrecht, das wesentlich auf dem Wissensstand von 1990 beruht, dringend an den heutigen Stand des Wissens angepasst werden muss.

Stellungnahmen anderer Institutionen:

erschienen: Dezember 2018, ergänzt um danach erschienene relevante Stellungnahmen